Faktencheck

in Bezug auf die „Petition“ des Vereins „Die Eiche“ an Vorarlberger Gemeindevertretungen

(zur Verfügung gestellt vom Land Vorarlberg)

Dr. Armin Fidler MPH, MSc. (Ehemaliger Mitarbeiter der WHO, Weltbank und Aufsichtsrat bei der Global Alliance for Vaccines – GAVI und des Global Fund against AIDS, TB and Malaria)

Begriffsdefinitionen:

WHO:
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf. Die Praxis der Organisation ist die Koordination des internationalen öffentlichen Gesundheitswesens. Sie wurde am 7. April 1948 gegründet, proklamierte das Recht auf Gesundheit als Grundrecht des Menschen und zählt heute 194 Mitgliedstaaten. Sie wird vom WHO-Generaldirektor geleitet, seit Juli 2017 ist das der Äthiopier Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Die Verfassung der Weltgesundheitsorganisation legt als Ziel die Verwirklichung des bestmöglichen Gesundheitsniveaus bei allen Menschen fest. Hauptaufgaben sind die Bekämpfung von Erkrankungen mit besonderem Schwerpunkt auf Infektionskrankheiten sowie Förderung der allgemeinen Gesundheit der Menschen weltweit. Die Geschäfte der WHO werden durch deren Hauptorgane, die Weltgesundheitsversammlung, englisch World Health Assembly (WHA), und den Exekutivrat (Executive Board), wahrgenommen.

Die Weltgesundheitsversammlung ist das höchste Entscheidungsorgan. Alle WHO-Mitglieder treten jedes Jahr im Mai in Genf zusammen, um die finanziellen und organisatorischen Geschäfte zu beschließen und die künftigen Programme festzulegen. Unter anderem wählt die Versammlung den Generaldirektor mit einer Zweidrittelmehrheit, wobei alle Mitglieder über eine Stimme verfügen. Bei der WHA73 im Mai 2020 wurde eine Überprüfung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR 2005) durch ein „Review Committee“ (ab 8. September 2020) beschlossen. Bei der WHA74 im Mai 2021 wurde der Abschlussbericht des Komitees vorgestellt.

Der Exekutivrat setzt sich aus 34 Gesundheitsexperten der Mitgliedstaaten zusammen. Sie werden für eine Amtszeit von drei Jahren von der Weltgesundheitsversammlung gewählt. In der Zeit zwischen den jährlichen Sitzungen der WHO ist der Exekutivrat für die Führung zuständig. Die Hauptaufgaben des Exekutivrates bestehen in Ausführung der Beschlüsse und Richtlinien der Versammlung.

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Die IGV sind ein Instrument des Völkerrechts, das für 196 Vertragsstaaten, einschließlich der 194 WHO-Mitgliedstaaten, im Prinzip rechtsverbindlich ist. Die Internationalen Gesundheitsvorschriften wurden dreimal überarbeitet – 1969 (als sie zu Internationalen Gesundheitsvorschriften wurden), 1981 und 2005. Die IGV wurden in ihrer 2005 verabschiedeten Fassung zweimal geändert – 2014 und 2022 (die letzten Änderungen treten im Mai 2024 in Kraft). Die jüngsten Änderungsvorschläge sind eine Reaktion auf die Herausforderungen, die sich aus der COVID-19-Pandemie ergeben.

Die ursprünglichen Internationalen Gesundheitsvorschriften wurden 1951 im Rahmen der WHO-Verfassung verabschiedet, um vereinbarte Ansätze und Verpflichtungen für Länder festzulegen, sich auf Krankheitsausbrüche und andere akute Ereignisse im Bereich der öffentlichen Gesundheit vorzubereiten und darauf zu reagieren, bei denen das Risiko einer internationalen Ausbreitung besteht. In den letzten Weltgesundheitsversammlungen (2022, 2023) der WHO jeweils im Mai in Genf wurde unter anderem über Änderungsvorschläge der Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations – IHR) beraten. Beobachter bewerteten diese Vorschläge als Beginn eines längeren Reformprozesses der IGV. In der Zwischenzeit sind zahlreiche WHO Mitgliedsländer mit der Grundrichtung der Vorschläge einverstanden, aber bezüglich vieler Punkte besteht durchaus noch kein allgemeiner Konsens. Es wird mit einem unabhängigen mehrjährigen Diskussionsprozess gerechnet.

In verschiedenen Postings auf Sozialen Medien, im Internet und auch im vorliegenden Pamphlet und „Petition“ der „World Health Alliance“ des Vereins „Die Eiche“ heißt es unter anderem, die WHO solle auf ihrer kommenden Versammlung in Genf (World Health Assembly) im Mai 2024 in eine Art „Weltregierung“ verwandelt werden. Zukünftig könne die WHO die Souveränität von Nationalstaaten in Gesundheitsfragen stark einschränken, für diese Entscheidungen treffen, Maßnahmen diktieren, ungefragt Expertenteams schicken, sowie z. B. Zwangsimpfungen durchführen und damit die Grundrechte der Bürger stark beschneiden.

Diese Behauptungen sind unwahr und entbehren natürlich jeglicher Grundlage. Dass die Staaten „entmachtet“ und so ihre Souveränität verlieren könnten, und dass es Eingriffe in persönliche Bürgerrechte geben könnte ist frei erfunden. Gemäß UNO Charter (und die WHO ist eine spezialisierte Teilorganisation der UNO) haben nationale Verfassungen immer Vorrang vor Entscheidungen der WHO.

Fakt ist, dass die besagten Änderungsvorschläge einer Reihe von Mitgliedsländern für die Internationalen Gesundheitsvorschriften manche Befugnisse der WHO in einigen Bereichen zwar ausweiten könnten, Mitgliedstaaten müssen diesen jedoch zuerst zustimmen. Zudem können sie Empfehlungen der WHO ablehnen, so etwa die Hilfe und Entsendung von Expertenteams. Die Diskussionen in Arbeitsgruppen sind derzeit noch keineswegs abgeschlossen und es gibt noch keine Einigkeit über die eingebrachten Änderungsvorschläge.

Die IGV gehen auf das Jahr 1969 zurück und regeln, wie Länder auf Gefahren für die öffentliche Gesundheit reagieren sollen. Solche Gefahren können zum Beispiel Krankheiten sein, die eine Pandemie auslösen können, wie etwa SARS, MERS, AIDS, H1N1, Ebola oder das Coronavirus SARS-CoV-2, das die Covid-19-Pandemie verursachte.

Der ursprüngliche Änderungsvorschlag sollte Staaten unter anderem verpflichten, Gefahren für die öffentliche Gesundheit schneller an die WHO zu melden. So heißt es beispielsweise in den vorgeschlagenen Änderungen zu Artikel 6: „Jeder Vertragsstaat bewertet die in seinem Hoheitsgebiet eingetretenen Ereignisse innerhalb von 48 Stunden, nachdem die nationale IGV-Anlaufstelle die entsprechenden Informationen erhalten hat.“ Ein weiteres Beispiel: Artikel 9 erlaubt es aktuell der WHO, sich unabhängig von Informationen der jeweils betroffenen Staaten über die Vorfälle zu informieren, die eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen können. Anschließend kann sie die betroffenen Staaten über ihre Einschätzung des Vorfalls informieren. Die diskutierte Änderung schlägt vor, dass die WHO zukünftig auch ohne die entsprechenden Staaten zu konsultieren, Informationen über Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit an andere Mitgliedstaaten weitergeben können soll.

Der Hintergrund für diese Änderungsvorschläge sind Erfahrungen während der Corona-Pandemie. China habe erste Fälle von Covid-19 nur mit Verzögerung an die WHO gemeldet und anschließend Experten-Teams nicht ins Land gelassen, die den Ursprung der Pandemie erforschen wollten.

Nun löste der Änderungsvorschlag eine Reihe von Behauptungen zur zukünftigen Rolle der WHO im Fall von Gesundheitsvorfällen aus. Etwa wird im Internet und auch im vorliegenden Pamphlet der „World Health Alliance“ des Vereins „Die Eiche“ behauptet, dass die WHO im Ernstfall über nationale Regierungen oder Parlamente hinweg entscheiden könne. Die Behauptung, die WHO solle künftig ihren Mitgliedstaaten „diktieren“ können, was im Falle künftiger Pandemien zu tun ist, und damit die Befugnisse der Nationalstaaten und der nationalen Parlamente außer Kraft setzen, ist komplett frei erfunden und entbehrt jeglicher rechtlichen Grundlage. Vielmehr ist es so, dass in parlamentarischen Demokratien das Parlament immer einem Vertrag explizit zustimmen muss.

Außerdem besagt Artikel 22 der WHO-Verfassung, dass jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit des Opting-out einfordern kann, und demnach WHO-Beschlüsse nicht umsetzen muss. Das bedeutet, dass Verordnungen für alle Mitgliedsländer in Kraft treten, außer sie teilen dem Generaldirektor ihre Ablehnung oder Vorbehalte mit. Fakt ist auch, dass der Generaldirektor der WHO lediglich befugt ist, Empfehlungen auszusprechen, nicht aber Gesetze zu erlassen oder auf andere Weise nationale politische Beschlüsse zu diktieren. Die WHO hat keinerlei Durchsetzungsbefugnisse, sie kann kein Land sanktionieren, sondern lediglich an seine vertraglichen Verpflichtungen erinnern.

Auch bei konkreten Maßnahmen wie der Entsendung von Expertenteams können Mitgliedstaaten Empfehlungen der WHO ablehnen – anders als es besagtes Pamphlet bzw. „Petition“ des Vereins „Die Eiche“ suggerieren. In den Änderungsvorschlägen zu Artikel 13 heißt es lediglich, die WHO solle Staaten bei Gesundheitsvorfällen Unterstützung anbieten – zum Beispiel durch Expertenteams. Es heißt im Text ganz klar: „Der Mitgliedstaat kann dieses Angebot innerhalb von 48 Stunden annehmen oder ablehnen.“ Lehnt er das Angebot ab, soll er der WHO die Gründe für die Ablehnung mitteilen. Diese Angaben teilt die WHO mit anderen Mitgliedsstaaten.

Bis Ende 2023 wurden bei vielen der über 300 vorgeschlagenen Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften von 2005 (IGV) Fortschritte erzielt. In der fünften Runde intensiver Diskussionen der Arbeitsgruppe zur Änderung der IGV (WGIHR) – der die 196 Vertragsstaaten der IGV, die Europäische Union und die Beobachterdelegation Palästinas angehören – diskutierten die Teilnehmer die vorgeschlagenen Änderungen. Die Ergebnisse der moderierten Konsultationen stellen noch keinen vereinbarten Text dar werden aber vor der nächsten Sitzung der WGIHR im Dezember 2023 zur Verfügung gestellt und die Arbeitsgruppe wird ihre Arbeit zwischen Januar und Mai 2024 fortsetzen. Der Generaldirektor wird der 77. Gesundheitsversammlung im Mai 2024 in Genf das von der Arbeitsgruppe vereinbarte Änderungspaket zur Diskussion und Abstimmung vorlegen.